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Sonntag, 05 Februar 2023 18:09

Solidarität mit dem peruanischen Volk!

Von Red./Spezial

Trotz der Desinformation und der Informationsblockade durch die hegemonialen Medien in Peru werden die tragischen Ereignisse, denen die peruanische Gesellschaft unterliegt, einem Teil der internationalen Öffentlichkeit bekannt. Natürlich gibt es viele Fragen, die mit den Informationen, die die alternativen Medien mit großem Aufwand anbieten, nicht beantwortet werden können. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum viele Institutionen und solidarische Menschen sich nicht äußern und den Ausgang der Krise abwarten, die Peru derzeit erschüttert.

Aus diesem Grund haben Peruaner:innen im Ausland die Aufgabe, die wichtigsten Fakten aufzuzeigen, die zur Klärung und weiterer Internationalisierung der Solidarität mit den Protesten breiter Bevölkerungsschichten beitragen. Dies gilt umso mehr, wenn die soziale und politische Krise komplex und langwierig ist.

Die politische Instabilität und die Wirtschaftskrise, die Peru derzeit erlebt, haben ihre Vorgeschichte in den 80er und 90er Jahren, als die Produktion des Landes extrem zurückging, die Inflation (vor allem während der Regierung García 1985-90) astronomisch hoch war und die Zahlung der Zinsen für die Auslandsverschuldung allein nicht möglich war, ohne sich erneut zu verschulden.

Seit der Regierung Fujimori (1990-2000) wurden die extremsten neoliberalen Wirtschaftsreformen in der Region durchgesetzt, Privatisierungen, die Übergabe natürlicher Ressourcen an transnationale Unternehmen und ein "Wirtschaftsmodell", das mit der aktuellen Pandemie sein wahres Gesicht des falschen Wohlstands gezeigt hat. Die Mehrheit der Bevölkerung, die behauptete, sich aus der extremen Armut befreit zu haben, ist erneut in Gefahr, auf dieses Niveau zurückzukehren, obwohl Peru über enorme natürliche Ressourcen, insbesondere Mineralien, verfügt. Es ist bekannt, dass der informelle Sektor die Mehrheit der Arbeitskräfte umfasst und im Zuge der Pandemie mehr als 70 % der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung ausmacht. Darüber hinaus wurde die Korruption, der Modus Operandi der Regierungen von Alan García, Alberto Fujimori, Pedro Pablo Kuczynski und Alfredo Toledo, verstärkt und gefestigt.

Die legitimen und demokratischen sozialen Proteste, die zum Erfolg des ersten Marcha de los Cuatro Suyos (2000) führten, bewirkten den Sturz der diktatorischen Regierung von Fujimori und Montesinos, was die Bildung einer Übergangsregierung auf dem Weg zu einer neuen demokratischen Etappe ermöglichte, deren Aufgabe es war, demokratische und transparente Wahlen zu organisieren, aber auch den Kampf gegen die weit verbreitete Korruption aufzunehmen und das bestehende perverse politische System zu verändern. Eines der Elemente dieses Prozesses musste eine neue Verfassung sein. Valentín Paniagua war als Präsident nicht gerade ein radikaler Linker.

Die Nachfolgeregierung, der Kandidat, der zum Marcha de los Cuatro Suyos aufgerufen hatte, Alejandro Toledo, machte bald einen Rückzieher bei den Aufgaben, zu denen er sich verpflichtet hatte, insbesondere bei der Forderung nach einer neuen Verfassung.

Alle nachfolgenden Regierungen waren weiterhin dem, von oligarchischen Machtgruppen diktierte, "neoliberalen und extraktivistischen Wirtschaftsmodell" unterworfen. Jede Initiative für demokratische Reformen wurde aufgeschoben oder abgelehnt. Die Korruption blieb bestehen und wurde verfestigt, wodurch die Voraussetzungen für die Rückkehr des Fujimorismus geschaffen wurden. In diesem langen Zeitraum gab es eine Reihe von Regierungen mit Programmen der Mitte: Toledo (2000 - 2005), Sagasti (2020 - 2021), der Linken Humala (2011 - 2015), der Rechten Pedro Pablo Kuczynski (2016 - 2018) und Martín Vizcarra (2018 - 2021).

Angesichts dieser Regierungen hat die peruanische Sozialbewegung alle möglichen Wege beschritten, um demokratische wirtschaftliche und politische Reformen zu erreichen, angefangen bei den Arbeitsforderungen über Antragsformulare und Petitionen, Runde Tische und sektorale Streiks. Doch allen wirtschaftlichen Forderungen, insbesondere den Sozial-ökologischen gegenüber ausländischen Konsortien, wurde von den aufeinanderfolgenden Regierungen mit Gleichgültigkeit, falschen Versprechungen, Unterdrückung und Massakern begegnet (z.B. in Conga, Bagua, Tia Maria, Las Bambas, usw.). Eine geschwächte Demokratie und die Aufschiebung von Rechten und öffentlichen Maßnahmen haben sich verfestigt. Gleichzeitig wurden konservative, fundamentalistische und patriarchalische Positionen gestärkt, die die historischen Forderungen der Frauen, der indigenen Völker des Amazonas und der Anden, der LTGBI, der Jugendlichen und anderer Bevölkerungsgruppen, die spezifische Veränderungen für echte Demokratie, Gerechtigkeit und soziale, politische und wirtschaftliche Gleichheit fordern, ausschließen. Wir brauchen dringend einen neuen Sozialpakt, um Rassismus, Ausgrenzung und Patriarchat zu bekämpfen und hegemoniale, vormundschaftliche und faktische Machtsysteme abzubauen.

Schließlich hat die zunehmende Ablehnung des Fujimorismus bei den letzten Wahlen, als die Kandidatin Keiko Fujimori wegen Korruptionsskandalen und illegaler Finanzierung korrupter Unternehmen wie Odebrecht angeprangert wurde, es Pedro Castillo, der keine großen Chancen auf den Wahlsieg hatte, ermöglicht zu einer Lösung für die Anti-Fujimori-Mehrheit bei den Wahlen zu werden. Nach dem Vorbild der Trump-Regierung in den USA haben die rechtsextremen Wahlverlierer eine falsche Anschuldigung wegen Betrugs erhoben, um die neue Regierung nicht anzuerkennen. Die hegemoniale Presse hat in dieser Phase eine führende Rolle gespielt, insbesondere während des Wahlkampfs und vom ersten Tag der neuen Regierung an. Auf diese Weise wurde eine Delegitimierung gefördert, bei der jeder Korruptionsverdacht ein Kündigungsgrund war, so dass keine Maßnahme des Erfolgsprogramms durchgeführt werden konnte.

Die neue Regierung konzentrierte sich darauf, an der Macht zu bleiben, ohne in der Lage zu sein, ihr Programm umzusetzen. In den meisten Bereichen der Verwaltung, wie der Kabinettsbildung und der Ernennung von Beamten, war sie unberechenbar, und es gab Hinweise auf Korruption, die bis in das Umfeld des Präsidenten reichten. Mehrere implizierte Beamte verschwanden und stellten sich später der Staatsanwaltschaft als tatsächliche Kollaborateure (z. B. der Generalsekretär Bruno Pacheco) oder waren auf der Flucht (z. B. der ehemalige Minister für Wohnraum Juan Silva).

Anfang Dezember war das politische Klima angespannt, und die vom Parlament verabschiedeten Verfassungsreformen machten es unmöglich den Kongress rechtmäßig zu schließen. Auf diese Weise und durch die Übernahme der Staatsanwaltschaft und der Justiz durch die konservativen Sektoren haben sie die Machtverhältnisse destabilisiert.

Es war nur eine Frage der Zeit, welche Macht den Staatsstreich zuerst durchführen würde. Am 7. Dezember kam es nicht nur zu einem Staatsstreich, sondern in Wirklichkeit zu einem gescheiterten Putsch der Exekutive und einem effektiven Putsch des Parlaments mit den Militär- und Polizeikräften. 

Der Staatsstreich der Exekutive und der Versuch, in der mexikanischen Botschaft Asyl zu suchen, legalisierten formell den zweiten Staatsstreich des Parlaments, das die Vizepräsidentin, die offen mit rechten Kräften über ihren Aufstieg in die Regierung verhandelt hatte, in einer neuen Eilvakanz unterbrachte. So wurde Pedro Castillo in einem informellen Verfahren und unter Missachtung der Regeln für die Amtsenthebung eines ehemaligen Präsidenten ohne jegliche gerichtliche Garantien inhaftiert und wegen Rebellion verurteilt.

Der gescheiterte Selbstputsch der Exekutive hat den Staatsstreich der Legislative, den Pakt und die politischen Verhandlungen der Vizepräsidentin Dina Boluarte mit dem Kongress, den Streitkräften und der Polizei ausgelöst und gefestigt. Dies führte zu einer bereits angewandten Formel, zur Militarisierung, Institutionalisierung staatlicher Gewalt, Schwächung des Rechtsstaates (Menschenrechtsverletzungen: Ermordungen, Verschwindenlassen, Razzien, willkürliche Verhaftungen, sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Angehörige der Streitkräfte und Polizei, Anschuldigungen ohne Beweise usw.).

Wie wir sehen, haben alle legitimen Mittel zur Bekämpfung der Korruption, die mangelnde Repräsentativität der gewählten Behörden, die Transfugalität, die Kanäle des Dialogs zur Lösung der Forderungen und das enorme soziale Reservoir, das die öffentliche Meinung missachtet, zu einem sozialen Aufruhr geführt. Große Teile der Bevölkerung haben keine andere Möglichkeit als zu protestieren. Ein Protest, der ohne politische Vertreter stattfindet, um zu verhindern, dass die geringen demokratischen Spielräume ausgehebelt werden und dass eine abtrünnige Machthaberin für rechte Kräfte regiert.

Eine der wenigen seriösen Umfragen, die des Instituto de Estudios Peruanos IEP von Anfang Januar, hat einige sehr wichtige Daten ergeben. Zunächst einmal ist die Unterstützung der Bevölkerung für den sozialen Protest in der Mehrheit und erreicht unter den Jugendlichen der Hauptstadt sogar 70 %. Die Zustimmung zu einer neuen Verfassung liegt bei 60 %, die Ablehnung von Präsidentin Dina Boluarte ist auf 78 % gestiegen und die Ablehnung des Parlaments liegt bei über 90 %.

Was die sozialen Unruhen jedoch noch verschärft hat, war die brutale Repression, die im gesamten Monat Dezember zum Tod von 34 Peruaner:innen führte, angefangen mit dem ersten 15-jährigen Opfer in Andahuaylas am 11. Dezember, über 7 Tote in Ayacucho am 15. Dezember, bis hin zu weiteren Toten in Arequipa, Viru-La Libertad, Junin, Cusco und anderen Regionen. Die Weihnachts- und Neujahrsfeiertage brachten eine Flaute der sozialen Proteste. Zu diesem Zeitpunkt hätte die Regierung nach einem politischen Ausweg suchen, den Weg für einen Dialog und eine ernsthafte Untersuchung der Schuldigen an den Todesfällen freimachen und sich um die dringenden Forderungen kümmern können. Doch nichts davon geschah, im Gegenteil, jede Äußerung von Dina Boluarte und ihrem Ministerpräsidenten Otárola war beleidigend und hetzerisch.

Die sozialen Proteste wurden am 4. Januar wieder aufgenommen und waren diesmal noch stärkerer Repression ausgesetzt. Der Höhepunkt wurde in der Stadt Juliaca erreicht, wo es an einem einzigen Tag, dem verhängnisvollen 9. Januar, 17 Tote und viele Schwerverletzte gab, und am nächsten Tag verbrannte ein Polizist in seinem Streifenwagen, und einer der Schwerverletzten starb später. Durch diese ruchlose Politik der Exekutive und der parlamentarischen Mehrheit ist die Möglichkeit des Dialogs und der Verständigung unmöglich gemacht worden. Dieses Regime ist isoliert, weil es sich nur auf die Unterstützung der Polizei und des Militärs, der hegemonialen Medien und des konservativsten Teils der Geschäftswelt stützt. Mit anderen Worten: eine elitäre, ausgrenzende und rassistische Minderheit des Landes. Die sozialen Unruhen haben sich auf fast das ganze Land ausgeweitet und bereits fast 60 Tote und mehr als 1.500 Verletzte gefordert. Die Kriminalisierung von Protesten, Forderungen und Terror gegen soziale Akteure geht Hand in Hand mit der Militarisierung und der Anwendung von institutionalisierter Gewalt.

Obwohl die Demonstrationen keine anerkannten Vertreter haben, hat die protestierende Mehrheit aus den harten Lektionen der letzten Jahrzehnte gelernt und ihre konkreten, aber sehr vernünftigen Forderungen formuliert:

- EINSTELLUNG DER KRIMINELLEN REPRESSION GEGEN POPULÄRPROTESTE UND SANKTION DER VERANTWORTLICHEN, d.h. echte Gerechtigkeit.

- RÜCKTRITT VON DINA BOLUARTE UND IHRER GESAMTEN REGIERUNG.

- RÜCKTRITT DER KONGRESSFÜHRUNG als Vorstufe zur Schließung des Kongresses, da dieser korrupt, putschistisch und einer der Faktoren der derzeitigen Krise ist.

- NEUE ALLGEMEINE WAHLEN in diesem Jahr 2023.

- BEGINN DES DEMOKRATISCHEN PROZESSES FÜR EINE NEUE VERFASSUNG durch ein REFERENDUM zusammen mit den neuen allgemeinen Wahlen, was einen neuen politisch-sozialen Pakt mit der breiten Beteiligung der historisch ausgeschlossenen und unsichtbaren Schichten, bedeutet: Frauen, Indigene, junge Menschen, LGBTI, Arbeitslose, Arbeiter, etc.

Es ist bemerkenswert, dass die überwiegende Mehrheit der protestierenden Schichten jede Form von Vandalismus ablehnt und vor allem jede Verbindung zum Terrorismus ausschließt. Die soziale Bewegung weiß sehr genau, dass jedes terroristische Abdriften das Scheitern dieser historischen Bewegung bedeutet, die den Willen der Mehrheit zum Ausdruck bringt. Aus diesem Grund hat sie seit letzter Woche den Segunda Marcha de los Cuatro Suyos nach Lima unternommen, der auch als La toma de Lima bekannt ist.

In den letzten Tagen gab es die ersten Todesopfer im Zentrum von Lima, aber die Bewegung hält nicht an. Die Menschen wissen, dass die Erfüllung dieser Forderungen Menschenleben kostet und ihre wirtschaftliche Lage verschlechtern wird, aber sie werden nicht nachgeben, bis sie eine demokratische Lösung erreicht haben.

Darüber hinaus wissen die Protestierenden, dass es keine Ideallösung gibt, dass es aber schlimmer wäre, ein Regime zuzulassen, das alle Merkmale einer Diktatur aufweist. Ein Regime, das die wenigen demokratischen Freiräume, die in den letzten Generationen erreicht wurden, schließen und das ruchlose "Wirtschaftsmodell" fortführen will, von dem die antidemokratische und zentralistische Oligarchenelite profitiert.

Aus diesen Gründen fordern wir die österreichische Regierung, alle Institutionen und Bürger:innen in Österreich auf, zu den schweren Menschenrechtsverletzungen und der Krise in Peru Stellung zu beziehen und sich mit dem legitimen sozialen Protest der Mehrheit der peruanischen Bevölkerung zu solidarisieren.

Von: Solidaridad Austria-Perú por la Democracia. (Österreichisch-Peruanische Solidarität für Demokratie). Januar-Februar 2023.

 

ERKLÄRUNG online Pronunciamiento contra la represión y violación de derechos humanos en el Perú  (Spanisch, Deutsch und Englisch).

Und unter diesem Link können Sie die erste Erklärung des Kollektivs "Solidaridad Austria-Perú por la Democracia" (Österreichisch-Peruanische Solidarität für Demokratie) auf Spanisch, Deutsch und Englisch ansehen: LINK


Erklärung der in Österreich ansässigen Personen zur aktuellen Krise in Peru.
Erklärung der in Österreich ansässigen Personen zur aktuellen Krise in Peru.
Letzte Änderung am Dienstag, 18 Juli 2023 15:25
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