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Freitag, 17 Februar 2017 18:48

Mexiko: Von der Implosion zur Explosion – oder zu den Urnen?

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Text: Leo Gabriel
Wer dieser Tage das Land der Azteken bereist, wird bemerken, dass bei den meisten seiner BürgerInnen der Geduldsfaden zum Zerreißen gespannt ist. Am vergangenen 13. Februar hat sich wieder einmal gezeigt, dass es nur eines Anstoßes bedarf, damit Tausende MexikanerInnen relativ spontan auf die Straße gehen, um gegen die korrupte Regierung des seit 2012 im Amt befindlichen Präsidenten Enrique Peña Nieto zu demonstrieren - so wie sie das einige Wochen lang getan hatten, als der einstige Strahlemann des Medienkonzerns Televisa & Co eine Erhöhung der Benzinpreise um 20 Prozent angekündigt hatte, die er in wöchentlichen Tranchen bis hin zu einer Angleichung an die internationalen Preise weiter umsetzen  wollte. Die Massendemonstrationen des so genannten gazolinazos, welche die Weihnachts- und Neujahrsfeiern in fast allen Städten Mexikos jäh unterbrachen, waren derart gewaltig, dass die Regierung es jedoch seit Anfang Februar für vernünftiger hält, von ihrer eigenen Verordnung Abstand zu nehmen.

Und das mit gutem Grund: denn die allgemeine Unzufriedenheit mit der Staatsführung hatte sich bereits das ganze letzte Jahr bemerkbar gemacht, als der US-Dollar den Rekordwert von 21,5 Pesos Mexicanos und die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit der Wirtschaftskrise 2008 erreichte. Zwar konnte die Monate andauernde Bewegung der LehrerInnen gegen die von der Regierung  geplante neoliberale Reform des Erziehungswesens teilweise noch wegverhandelt werden; doch konnte das nicht verhindern, dass sich die überwiegende Mehrzahl der MexikanerInnen durch das neuerliche Aufflammen des so genannten „Drogenkriegs“ in ihrer Existenz so sehr bedroht fühlten, dass viele von ihnen den noch gefährlicheren Weg in die USA suchten.

Trumps Pläne sind mehr als ein schlechter Witz

Gerade von diesem, von vielen als vermeintlicher Rettungsanker angesehenen Nachbarland im Norden gehen aber derzeit politische Signale aus, die das ohnedies schon morsche Unterholz des Wirtschafts- und Sozialgefüges sehr bald zum Einsturz bringen könnte.  Dabei konnte die schon im Wahlkampf gemachte Ankündigung Donald Trumps, die bereits bestehende Mauer an der über 3000 km langen Grenze festzuzurren, von vielen der nicht direkt Betroffenen noch als schlechter Witz empfunden werden. Aber spätestens bei der Ankündigung des Dollarmilliardärs, die so genannten remesas familiares (Überweisungen der mexikanischen ArbeitnehmerInnen in den USA an ihre Familien) mit 30 Prozent zu versteuern, u.a. um diesen pharaonischen Mauerbau auch zu finanzieren, verging den meisten das Lachen. Stellt man in Rechnung, dass diese remesas noch vor dem Erdöl der größte Beitrag zum mexikanischen Volkseinkommen sind, scheint der Zusammenbruch der mexikanischen Volkswirtschaft vorprogrammiert zu sein.

Verstärkt wird dieser Effekt noch durch die Tatsache, dass Trump mehr als 5 Millionen mexikanische und zentralamerikanische Einwanderer, die über keine gültigen Aufenthalts- bzw. Arbeitserlaubnis verfügen, nach Mexiko zurücktreiben will – wie eine gigantische Viehherde vor allem in jene Gebiete des Nordens, die de facto von den Verbrecherbanden beherrscht werden. Für die MigrantInnen aus Zentralamerika, die sich ihres Lebens ohnedies nicht mehr sicher waren, würde das bedeuten, dass sie, ob sie es wollen oder nicht, in Mexiko festsitzen werden. Das alles hätte verheerende Auswirkungen auf den durch den von Trump verordneten Mexit (den von Trump angekündigten plötzlichen Austritt Mexikos aus der Freihandelszone NAFTA) ohnedies schon   geschwächten Arbeitsmarkt, zu dem auch noch die von Trump angekündigten Rückführung der mexikanischen Automobilindustrie in die USA kommen würde.

Kurz: Wenn die Talfahrt so weitergeht, wird der wirtschaftliche Zusammenbruch eine soziale Krise noch nie dagewesenen Ausmaßes mit sich bringen, die diesmal tatsächlich mit dem Kollaps Deutschlands bei der Weltwirtschaftskrise 1929 vergleichbar wäre.

Der mexikanische Neoliberalismus: Der Schrecken nähert sich dem Ende

Dass das alles natürlich nicht nur aufgrund des Präsidentenwechsels in den USA passiert, wissen die MexikanerInnen ganz genau. Die gegenwärtige katastrophale Situation ist vielmehr die Folge eines neoliberalen Umbaus, der bereits in den 1980er Jahren mit den Regierungen der alteingesessenen PRI (Partido Revolucionario Institucional) begonnen und in den 2000er Jahren mit der rechtskonservativen Partido de Acción Nacional (PAN) von den Präsidenten Vicente Fox und Felipe Calderon vertieft wurde. „Letztendlich sind alle heiligen Kühe der mexikanischen Revolution geschlachtet worden“, schreibt der Publizist John Ackermann. Tatsächlich: als erstes wurde das im Anschluss an die mexikanische Revolution 1918 eingeführte System der so genannten Ejidos (unverkäufliches Gemeindeland nach indigenem Vorbild) abgeschafft und die auf die Errungenschaften der anarcho-syndikalistischen Bewegung zurückgehenden sozialen Rechte der ArbeitnehmerInnen durchlöchert. Und am Ende dieses traurigen Abgesangs steht die Privatisierung von PEMEX, des durch Lázaro Cardenas (Präsident 1934-1940) verstaatlichten Erdölkonzerns, durch genau jenen Präsidenten, der heute zu den korruptesten Politikern in der Geschichte Mexikos zählt.

Enrique Peña Nieto, ein Korruptionsritter der besonderen Art

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Das von Vicente Fox im Anschluss an die massiven Bewegungen der Campesinos und Ecologistas vor 10 Jahren gestoppte Megaprojekt eines neuen Flughafens in Mexiko-Stadt am Texcoco-See wurde von Enrique Peña Nieto in Zusammenarbeit mit dem Multimilliardär Carlos Slim 2015 wieder in Angriff genommen. Um sich jedoch die lange Wartezeit bis zur Vollendung dieses Bauvorhabens zu versüßen, lässt Peña Nieto einen eigenen Präsidenten-Flugsteig  im Wert von 250 Millionen Dollar errichten, der ihm zu seinem Geburtstag feierlich übergeben werden soll.

Kein Wunder, dass sich deshalb zur ökonomischen und sozialen auch noch eine politische Krise großen Ausmaßes hinzugesellt hat, die jedoch weitgehend von Peña Nieto selbst verursacht wurde. Ähnlich wie Trump ist dieser nämlich nur eine Marionette des im Estado de México konzentrierten Großkapitals. Statt dem „gringo“ Donald Trump wegen des angekündigten Mauerbaus scharf entgegenzutreten, was ihm sicherlich einige Sympathien eingebracht hätte, lud er ihn als Staatsgast ein, noch bevor dieser in den USA die Wahlen gewonnen hatte, und nahm einen langjährigen Freund Trumps in sein Regierungskabinett auf. Erst nachdem die Wogen der Entrüstung sogar die mexikanische Oberschicht erfasst hatten, nahm er die Einladung Trumps, nach dessen Wahl nach Washington zu reisen, letztendlich doch nicht an.

Dafür versprach er, dem frischgebackenen US-Präsidenten bei der Rückführung der MigrantInnen dadurch behilflich zu sein, dass er eigene „Empfangszentren“ errichten lassen werde.  Die Vermutung liegt nahe, dass sich auch die mexikanischen Konsulate in den USA  aktiv an dieser „Rückholaktion“ der besonderen Art aktiv beteiligen werden.

Während in vielen Städten der USA gegen die Abschiebungen von MexikanerInnen protestiert wurde, die oft schon Jahrzehnte lang in einem Territorium gelebt hatten, das bis vor 140 Jahren noch mexikanisches Staatsgebiet war, versuchten die beiden staatstragenden Parteien, also PRI und PAN, besonders schlau zu sein und schalteten sich am 13. Februar auf der Seite des präsidentiellen Mexiko in eine gegen die Abschiebungen gerichtete Demonstration ein, zu der ursprünglich die unabhängigen Menschenrechts- und MigrantInnenorganisationen aufgerufen hatten. Nach einem heftigen, aber keineswegs gewaltsamen Schlagabtausch mussten sich  die Verteidiger des offiziellen Mexiko unter dem lebhaften Geschrei jener zurückziehen, die gekommen waren, um gegen die Abschiebungen zu protestieren. Aus der Anti-Trump-Demo war eine Anti-Peña-Demo geworden, die vor allem die Korruption auf Seiten der mexikanischen Regierung anprangerte.

Manuel López Obrador: Ein Licht am Ende des Tunnels

Alle diese Ereignisse haben zur Folge, dass sich das politische Panorama auch in Bezug auf die im Juni 2018 anstehenden Präsidentschaftswahlen seit einigen Monaten ziemlich rapide verändert hat. Enrique Peña Nietos Beliebtheitswerte sind auf (je nach Meinungsumfrage) 12 bis 18 Prozent gesunken und sowohl die rechtskonservative PAN als auch die sozialdemokratisch angehauchte PRD (Partido de la Revolución Democrática), deren bürokratische Führung in letzter Zeit mit Recht in den Geruch der systemimmanenten Korruption gekommen ist, kommen über diese Werte – den Meinungsumfragen zufolge – nicht hinaus. Denn alle diese Parteien werden laut Umfragen von der erst seit 2014 registrierten Linkspartei MORENA (Movimiento Regeneración Nacional) unter der Führung des linkspopulistischen Andrés Manuel López Obrador in den Schatten gestellt, der den letzten Meinungsumfragen zufolge sogar die Hälfte der Stimmen auf sich vereinigen könnte. Ebenso wie sein brasilianischer Counterpart  Luiz Inácio da Silva „Lula“ ist der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt bereits zweimal bei den Präsidentschaftswahlen angetreten, wobei ihm damals noch der Erfolg auf Grund von massiven Wahlmanipulationen und eklatantem Betrug bei der Stimmenauszählung versagt geblieben war.

Nun scheint sich das Blatt zu wenden. Sollte sich der Abstand bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 nicht verringern, würde es unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen sehr schwer sein, López Obrador und seiner MORENA-Partei einen Wahlsieg abzuerkennen, zumal sich sogar ein Teil der oberen Mittelschicht bereits auf seine Seite geschlagen hat.
Für eine Überraschung hat auch die Zapatistische Befreiungsarmee EZLN gesorgt, als sie vor ein paar Monaten ankündigte, sie wolle eine Kandidatin aufstellen, die vom Obersten Rat der Indigenen Völker (Consejo Nacional Indígena – CNI) in nächster Zeit nominiert werden soll.  Ob die EZLN wegen ihrer offenen Feindschaft gegenüber dem politischen Establishment eher zur Vertiefung der programmatischen Forderungen von MORENA beitragen wird oder, wie in der Vergangenheit, zur Stimmenthaltung aufrufen wird, ist noch offen.






Letzte Änderung am Mittwoch, 26 April 2017 17:12
Redaktion

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